(E-E) Evgenij Kozlov

Акула / Shark

Oil on canvas / холст, масло, 221 x 159 cm , 1988

video "Leningrad" >>

(E-E) Evgenij Kozlov, б. н. (Акула) / untitled (Shark) Oil, canvas / масло, холст, 221 x 159 cm , 1988

Zur Bedeutung des Bildrandes siehe Gemälde "Anna Karenina 1" >>

Das großformatige Gemälde "Shark" ist ein herausragendes Beispiel für Evgenij Kozlovs Interesse an Kompositionen mit figuralen Gruppen, die in ihrem Aufbau weit über den Rand des Gemäldes hinausweisen. Die Fotografien, die den Figuren zugrunde liegen, sind bei verschiedenen Anlässen entstanden und bilden hier eine dynamische Einheit mit Vorder-, Mittel- und Hintergrund. Die spiralförmige Anordnung der Figuren, von links oben im Uhrzeigersinn nach links unten (oder auch umgekehrt), wird verankert durch die Streben eines "V"s (Hai und Frau), welches seinen Scheitelpunkt unterhalb des Bildrandes hat. Dadurch entsteht eine Gleichwertigkeit der Figuren, und man kann im eigentlichen nicht von einer Zentralfigur sprechen. Mit einen gewissen Berechtigung läßt sich jedoch sagen, dass die Figur Timur Novikovs (detail 2) durch ihre feste, selbstbewußte Haltung und Ihre Positionierung in der Bildmitte diese Funktion übernimmt. Das rote Kreuz auf dem T-Shirt wirkt wie einTiefenfokus. Dies wird deutlich, wenn man einen Blick auf die urprüngliche Fotografie wirft, auf der dieses rote Kreuz nicht vorhanden ist (photo / detail 2). Das Kreuz ist kein bloßes Attribut im Vergleich zur Fotografie, es ist essentiell: mit seiner Schärfe bildet das Gegenstück zur vibrierenden blauen Kugel, der Achse der Spirale.

Was hier präzisiert wird, ist allerdings die Brust, die Herzgegend. Sie ist dem Betrachter zugewendet. Der Kopf und mit ihm der größte Teil des Gesichts bleibt verhüllt: die Wirkung der Plastiktüte mit der Aufschrift "Leningrad", verstärkt durch Handschuh und Gürtel, ist geradezu martialisch. Es ist die Maske des geheimnisvollen Ritters, der seine Identität nicht preisgibt.

Hier erzeugt der Künstler eine irritirende Wirkung von Unbestimmtheit trotz Konkretheit, welcher der Betrachter letztendlich ausweicht, indem er der Spirale folgt und sich auf andere Figuren konzentriert, die in ihrer Ausdruckskraft nicht weniger faszinierend sind. Durch die Dynamik des Aufbaus bleibt der Blick jedoch ständig in Bewegung, und jedes neue "Ankommen" gibt dem Betrachter die Möglichkeit, den Reichtum der Komposition auszuloten.

Die Figuren

Im Video zum Bild hat E-E folgende handelnden Figuren der Komposition bestimmt:

Акула / The Shark
Георгий Гурьянов / Georgy Guryanov
Игорь Веричев / Igor Verichev
Георгий Гурьянов / Georgy Guryanov
Андрей Фитенко / Andrey Fitenko
Агнеш Хорват / Agnes Horváth
Валерий Алахов / Valery Alakhov
(E-E) Евгений Козлов / (E-E) Evgenij Kozlov
Сергей Бугаев / Sergei Bugaev
Тимур Новиков / Timur Novikov
Яна Павлова / Yana Pavlova
Pука / A hand
Бомба / A bomb
ХМ 3 5
Самолет / Аn airplane
Невесомый шар / А massless globe
Женский образ (МамаПапа) / A female figure (MamaPapa)
Ограничение движения / The containment of movement
Край знания / The limit of knowledge

Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein Künstler in seinem Gemälde andere Künstler abbildet, mit denen er in mehr oder weniger freundschaftlichen Beziehungen steht, und es ist auch nicht ungewöhnlich, dass er dies mithilfe von Fotografien tut. Aus dieser Liste, die neben konkreten Personen auch Gegenstände und vor allem abstrakte Sinnzusammenhänge enthält, wird jedoch deutlich, dass es Evgenij Kozlov nicht darauf ankam, Künstler seiner Generation zu in ihrem "hier und jetzt" zu inszenieren. Wenn Wolfgang Tillmans mit seiner Fotografie "Supermarket" (1990) seine Freunde so agieren lässt, als ob die Aufnahme spontan und zufällig entstanden sei, so geht Kozlov mit seinen figurativen Gemälden aus der zweiten Hälfte der 1980er Jahre den umgekehrten Weg: er wählt aus seinem Fotografien diejenigen aus, die für ihn das höchste "Sinnpotential" haben und unterzieht die Motive einem hochkomplexen kompositorischen Prozesses, auf dessen Ergebnis die Bezeichnung "Porträt" oder "Gruppenporträt" nur begrenzt zutrifft. Denn nicht die Abbildung der Personen steht im Vordergrund, sondern ihre Transformation, die eigentlich eine Erhöhung ist, oder, im Sinne Schillers, die Wandlung des Menschen vom Individuum zur Person. Es handelt sich daher nicht um fotorealistische Malerei, obwohl sich die Personen erkennen lassen und dieses Wiedererkennen einen nicht unerheblicher Reiz der Gemälde ausmachen.

Also nicht die Person durch Transformation unkenntlich machen – etwa durch die Unschärfe wie Gerhard Richter – will Evgenij Kozlov, sondern im Gegenteil ihr Potential mithilfe seiner künstlerischen Intuition ("The limit of knowledge") erkenntlich machen. Das beste Beispiel dafür ist sein "Porträt von Timur Novikov mit Knochenarmen" von 1988, zu dem er sich 2010 folgendermaßen äußerte: “To be more precise, on the portrait of Timur Novikov of 1988 it is not Timur that is shown, but the state of being which he eventually reached.”