Evgenij Kozlov

Das Leningrader Album


Das Hohelied des Verlangens

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Vorgeschichte

Das Album

Die Entwicklung der Zeichnungen

Das Hohelied des Verlangens



•••••••• Das Hohelied des Verlangens ••••••••

Als Einleitung und Ausklang zum Album hat Evgenij Kozlov zwei Blätter aus einem Poesiealbum eingefügt, das er im Bücherschrank der Eltern fand. Solche Alben waren in jener Zeit sehr populär. In die Buntstiftzeichnungen mit Blumenornamenten sind Schlitze zum Einstecken von Widmungsfotografien eingeschnitten; die Rückseiten bestehen aus Gedichten im Stil volkstümlicher Liebeslieder, die bei verschiedenen Anlässen gesungen wurden. Mit ungewollt und gewollt komischen Assoziationen aus höchstem Pathos und konkreten Verweisen leiten diese gereimten Tändeleien und die Liebeschwüre den musikalischen Ton des Albums ein.:


"Ich schreibe Dir die Hand mir zittert
Muß sagen Dir ade
Wir werden lang uns nicht mehr sehn
Mein armes Herz tut weh

Fortsetzung folgt"



oder

"Ich schenke Dir ein Hündchen
Doch schlag es bitte nicht!
Es gibt dir für die Jungens
In Liebe Unterricht"



In ähnlicher Manier hat der junge Evgenij eine Liedzeile gedichtet, das dem Album seinen Untertitel gibt. Mit seinem gleichbleibenden Rhythmus bildet es eine Art frühen Rap:

"Vméste v schkólu my idyóm
pésnye módnye poyóm"

Was sich ins Deutsche etwa wie folgt übersetzen läßt:

"In die Schule gehn wir wieder
singen angesagte Lieder"

Die angesagten Lieder, die Lieder der jungen städtischen Generation, das war selbstverständlich keine Dorffolklore, sondern es waren zu jener Zeit wie auf der ganzen Welt die Lieder der Beatles und der Rolling Stones. Sie werden enthusiastisch nachgesungen, auch wenn man die Texte nicht versteht; man schafft sie einfach phonetisch nach.

So wird aus

"Can't buy me lo-ove, everybody tells me so"
"Can't babilo-on, everybody tell me ton"

(nachzulesen in einem der Texte)

Das ist die Musik für die Besuche und Parties, wenn die Eltern aus dem Haus sind. Zurecht wurde diese Musik von der Elterngeneration weltweit als enthemmend gefürchtet und verurteilt. Der magische Rhythmus des yeah–yeah hilft, die Scham und Peinlichkeit zu überwinden, die dem Verlangen im Wege steht, den neuen, veränderten Körper zu zeigen.

Er findet auf den Zeichnungen seine Entsprechung im „E–E“ (im Russischen ebenfalls yeah–yeah gesprochen), mit dem Evgenij Kozlov sein grundlegendes künstlerisches Empfinden ausdrückt: ein andauerndes geistiges Erwachen, welches in ihm das Verlangen weckt, die maximale Fülle des Daseins mit maximaler Hingabe zu schaffen. Die unendliche Fülle des Lebens erwächst aus der Polarität der Erscheinungen und ihrer Verbindung zueinander. In der Polarität der Geschlechter hat sie ihr reichstes Potential. „E–E“ ist dazu Ausruf und Kommentar zugleich. „E–E“ ist ihr Stil.

Daher gibt es zu den Zeichnungen die Texte, mit denen der Künstler diese Verbindung gestaltet, das Frage- und Antwortspiel, sei es der Mädchen untereinander, sei es der Mädchen mit dem Jungen. Es ist das Ritual der Selbstvergewisserung, das in der Frage gipfelt „Bin ich schön?“ „Bin ich begehrenswert?“. Somit ist das ganze Album nicht der «Sache» an sich gewidmet (dieses «Äußerste» wird nur wenige Male angedeutet), sondern dem, was man gemeinhin Vorspiel nennt, und was, wenn man es richtig versteht, schon eine Erfüllung in sich findet. Denn das Spiel der Annäherung ist es, was im eigentlichen Sinne das Verhältnis der Geschlechter zueinander gestaltet, und dieses ewige Thema, von jeder Generation neu entdeckt, bekommt hier bei aller Leichtigkeit eine gewissermaßen archaische Feierlichkeit.

Es ist ein Hohelied auf die Liebe, wie sie vielleicht nur bei einem Menschen möglich ist, der noch nicht gelernt, das, was er geben will, und das, was er haben möchte, als Tauschgeschäft zu betrachten. Deshalb sind die Zeichnungen, bei aller sehnsuchtsvollen Offenherzigkeit, geprägt von einer zarten Keuschheit.

Und so legt man das Leningrader Album neben sich, um es immer wieder aufzuschlagen und sich darin zu vertiefen – in die Schönheit der Körper, die Klugheit der Gesichter, in die Komik der Dialoge, die liebevoll gestalteten Details der Interieurs mit ihren typischen 60er, 70er-jahre Möblierung, mit den kunstvoll drapierten Kleidungsstücken, dem stilvollen Tonbandgerät, das die neuesten Hits abspielt, und dem meditativen Blick durch das Fenster in die silberne, samtene, marmorne Leningrader Nacht…



"Lieblingsbuch gewidmet allen jungen und erwachsenen Männern der ganzen Welt des XXI, XXVI, XXXIX und LXIV Jahrhunderts".



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