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Einige Anmerkungen zu „after the butcher“ bei „based in berlin“


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Für die Überblicksausstellung „based in Berlin“ im Sommer 2011 wurde der dritte Stock in den Kunstwerken (KW – Institute for Contemporary Art, Berlin) den Leitern von „after the butcher“, einem laut Ausstellungstext „unabhängigen Ausstellungsraum für zeitgenössische Kunst und soziale Fragen in Berlin-Lichtenberg“, zur Kuratierung übergeben.

Nun hat also „after the butcher“ die Möglichkeit erhalten, für eine Veranstaltungsreihe Geld aus dem 1,7 Millionen Etat zu bekommen, der aus öffentlichen Mitteln für „based in Berlin“ zur Verfügung gestellt wurde, und das stürzte den Personenkreis aus dem Umfeld des Projektraums offensichtlich in eine Identitätskrise. Sie wurde am 18. Juni 2011 in einer szenischen Lesung von Christoph Bannat und Axel Gerber in der Form von collagierten Beiträgen aus Diskussionsforen rund um „based in berlin“ präsentiert.

Die Essenz dieser Beiträge ist bereits im Ausstellungs- und Programmtext von Thomas Kilpper festgehalten, einem der beiden Betreiber von „after the butcher“. Es handelt sich um eine harsche Kritik an den Geldgebern, versinnbildlicht in dem einzigen Werk, welches den Ausstellungsraum schmückt: einer Fotografie des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit von Clegg & Guttmann in altmeisterlicher Anmutung; es trägt den nicht unbescheidenen Titel „Allegory of Governance“. Die Kritik gipfelt in dem Vorwurf, Wowereit habe die Ausstellung als Leistungsschau bezeichnet, und das wird „als angriff auf unser sein“ empfunden, welches in der Konsequenz „nicht selten zu krankheit [führt]: zu stress, burn out, depression, drogen, suizid.“

„Ja“, möchte man einwerfen zur Kritik an der ,Leistungsschau’, „da wird wohl etwas verwechselt, eine Liebesbeziehung zwischen Künstler und Bürgermeister mit einer Geschäftsbeziehung unter Erwachsenen“. Sehen wir uns die Selbstbeschreibung etwas genauer an:

„wir brauchen unsere faulheit wie unseren fleiss, wir brauchen unser nickerchen wie unsere wachheit, wir brauchen unsere zweifel, flops und scheitern genauso wie unsere hightlights, wir brauchen kontemplation genauso wie handeln.” Mit anderen Worten, es handelt sich um einen Angriff auf „universelle qualitäten des menschlichen seins schlechthin“.

In den siebziger Jahren gab es einen erfolgreichen Schlager von Vicky Leandros mit dem Titel „Ich bin wie ich bin“, der die Erwartungen der Künstler an Klaus Wowereit antizipiert. Darin heißt es

„Ich bin wie ich bin / hab' ein Herz wie die andern. / Bin nicht gern allein / doch ich liebe die Freiheit. / Schau mich an / du kannst nichts ändern daran. / Bitte nimm mich so wie ich bin / denn ich kann keine and're für dich sein. / Doch liebst du mich so /wie ich bin /wirst du's niemals bereu'n. / La la la...”

Der Liedertext beschreibt exakt den unter den gegenwärtigen Kunstproduzenten verbreiteten Narzissmus: der Künstler will für sein „Sosein“ geliebt werden. Der Unterschied jedoch zur Liebe, die nichts fordert, ist, dass der Künstler für sein „Sosein“ mit Geld versorgt werden will. Sollte sich der Geldgeber erlauben, mit der finanziellen Unterstützung seinerseits irgendwelche Erwartungen zu verknüpfen, so ist das eine narzisstische Kränkung.

Mit anderen Worten: gibst du kein Geld, so bist Du schuld, wenn es mir schlecht geht, und gibst du Geld, so darfst du keine Erwartungen daran knüpfen, denn dieser Stress macht mich krank, und dann bist du wieder schuld.

Es ist bestimmt nicht falsch, wenn Thomas Kilpper darauf beharrt, dass im Entstehungsprozess eines Kunstwerks der Begriff „Leistung“ nicht angebracht ist. Der Künstler stellt sich seine Aufgabe selbst, und die erfüllt er, so gut er kann. Er verfolgt in der Regel damit nicht den Ansatz, irgendjemanden im Sinne eines „höher, schneller, weiter“ zu übertreffen (manchmal aber doch). Insofern gibt es keinen Katalog aus Leistungskriterien, in welchem man nur nachzuschlagen bräuchte, um eine Leistung zu erfassen.

Die Frage stellt sich aber anders, nämlich, ob wir dann, wenn wir das fertige Produkt vor uns haben, die Möglichkeit haben, eine „Leistung“ auf adäquate Weise bejahen oder verneinen können. Hier verschiebt sich das Urteil: nicht, was ein Kunstwerk für denjenigen bedeutet, der es hervorgebracht hat, steht zur Diskussion, sondern was es für die Gesamtheit der Betrachter bedeutet. Wir wollen nicht wissen, was der Künstler für sich selbst beabsichtigte, sondern was er für uns erreicht hat.

Es gab einmal eine Zeit in Deutschland, vor etwa zweihundert Jahren im kleinen Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach, als ein Künstler die bedingungslose Unterstützung eines Mäzens genoss; der Regent hieß Herzog Carl August und der Künstler Johann Wolfgang von Goethe. Grundlage dieser Unterstützung war die Anerkennung und Hochschätzung der künstlerischen Leistungen von Goethe durch den Herzog, wobei man jedoch nicht vergessen sollte, dass Goethe als Minister auch für die Regierungsgeschäfte Verantwortung trug. Goethe konnte sich eine „Auszeit“ in Italien erlauben, die eher einer Flucht glich: der Herzog war bereit, ihn jederzeit wieder aufzunehmen, wenn er nur wieder zurückkäme. Mit anderen Worten, Herzog Carl August kam aufgrund seiner Kenntnisse und seines Verständnisses von Goethes Werk zu dem Schluss, dass seine Unterstützung unabdingbar sei, wenn sich die Wirkung von Goethes Genie für das Geistesleben des gesamten Volkes weiter entfalten sollte. Dies heißt nichts anderes, als dass er Vertrauen in Goethes zukünftige Leistungen hatte. Etwaige persönliche Vorteile oder Nachteile kamen dabei nicht in Betracht.

Solche Zeiten einer fast symbiotischen Beziehung zwischen Regent und Künstler sind heute vorbei. Abgesehen davon, dass ein moderner Politiker selbst bei großem Kunstverständnis gar nicht die Möglichkeit hat, in absolutistischer Manier Gelder zu verteilen – wer würde heute als Künstler eine solche persönliche Abhängigkeit ertragen, in der Goethe stand? Dazu gehört neben dem Takt des Finanziers schon sehr viel Einsicht in das eigene Schaffen.

Der moderne Künstler will aber zuerst in seiner Person Wertschätzung erfahren, und zwar entsprechend des Bildes, das er von sich selbst hat, und nicht auf der Grundlage seines Schaffens. Daher ist es völlig abwegig, auf eine überholte Symbolik zurückzugreifen und Klaus Wowereit zu einer Art Papst (neudeutsch „die politik“) zu stilisieren und sich selbst zum Luther zu erheben. Dabei beurteilt und kritisiert man wie selbstverständlich das Handeln der „politik“, während man sich das Urteil der anderen bezüglich des eigenen Schaffens – der „kunst“– verbittet, denn:

„kunst – auch wenn es permanent versucht wird – lässt sich nicht objektivieren – kunst ist form und inhalt und gebunden an subjektives wahrnehmen, und das ist auch gut so.“

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